Quo vadis Open Access – Eine Bestandsaufnahme zum aktuellen Open Access Umfeld aus Bibliothekssicht!

Datum

Susanne Göttker im Gespräch mit Detlef Büttner: Von der Budapester Initiative über grundsätzliche Finanzierungsfragen bis hin zu aktuellen administrativen Hürden – informativ und meinungsstark!

Detlef Büttner: Frau Göttker, die tief in der wissenschaftlichen Community verwurzelte Open Access Bewegung hat sich über Jahrzehnte ihren Weg gebahnt und auch auf bibliothekarischer Seite strukturelle Hoffnungen geweckt. Wie ordnen Sie dies zeitgeschichtlich ein?

Susanne Göttker: In den wissenschaftlichen Bibliotheken wuchs seit den 1990er Jahren der Unmut über die immer weiter steigenden Subskriptionspreise vor allem von Zeitschriften aus den Bereichen Naturwissenschaften, Technik und Medizin. Da die Erwerbungsetats nicht in gleicher Weise anstiegen, mussten viele Abonnements gekündigt werden. Um Gewinneinbußen zu vermeiden, erhöhten die Verlage wiederum die Preise, was zu einem Teufelskreis von Abonnementskündigungen und Preissteigerungen führte. Die Verlage argumentierten zusätzlich, dass die Mittel benötigt würden, um den Wandel von gedruckten zu elektronischen Zeitschriften zu gestalten.

Die TeilnehmerInnen der Open Access Initiative in Budapest am 1.12.2001

Vor diesem Hintergrund begrüßten die Bibliotheken die aus dem Kreis der Forschenden stammende Idee des Open Access, da sie sich davon viel versprachen: Zum einen entspricht der Gedanke frei verfügbarer Literatur zutiefst dem bibliothekarischen Verständnis von freier Informationsversorgung. Dazu möchte ich kurz die Definition der Budapest Open Access Initiative von 2002 zitieren, die mittlerweile bestimmt alle kennen, die sich mit dem wissenschaftlichen Publikationswesen beschäftigen: „Open Access meint, dass diese Literatur (Literatur, die „Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ohne Erwartung, hierfür bezahlt zu werden, veröffentlichen“) kostenfrei und öffentlich im Internet zugänglich sein sollte, so dass Interessierte die Volltexte lesen, herunterladen, kopieren, verteilen, drucken, in ihnen suchen, auf sie verweisen und sie auch sonst auf jede denkbare legale Weise benutzen können, ohne finanzielle, gesetzliche oder technische Barrieren jenseits von denen, die mit dem Internetzugang selbst verbunden sind.“ [1]

Zum anderen konnte man sich aber auch der Hoffnung auf eine Entlastung der angespannten Etatsituation nicht erwehren. Und natürlich sahen auch viele Bibliotheken sehr schnell, dass ihre Rolle in der Transformation vom „paywalled“ zum Open Access eine gewichtige sein müsste. So entstanden an den Bibliotheken in den vergangenen Jahren sehr viele Initiativen und Projekte, die darauf abzielen, die Akzeptanz von Open Access zunächst an ihrer Einrichtung, später dann auch überregional zu erhöhen. Einen hervorragenden Überblick finden Interessierte auf den Seiten des Open Access Networks (https://open-access.network/startseite).

Detlef Büttner: Wir sehen aktuell, dass die politisch gesetzten zeitlichen Ziele zur Open Access Transformation deutlich langsamer erreicht werden als gewünscht. Worin ist dies aus Ihrer Sicht begründet?

Susanne Göttker: Die Akzeptanz von Open Access begann sehr schleppend. In den ersten Jahren entstanden viele neue, reine, also Gold-Open-Access-Zeitschriften. Zum Beispiel war der Verlag BioMed Central (BMC) mit seinen Gold-OA-Titeln ein Pionier, der bereits 2000 gegründet wurde (2008 wurde er von Springer Nature aufgekauft). Das Manko dieser frühen OA-Zeitschriften war, dass sie – naturgemäß – noch nicht über die Reputation verfügten wie die bekannten, renommierten Zeitschriften der jeweiligen Disziplinen. Das Renommee einer Zeitschrift lässt sich an ihrem Impact Factor ablesen. Je höher der Impact Factor, desto höher das Renommee. Das ist zwar sehr vereinfacht ausgedrückt, ist aber hier nicht weiter bedenklich, da die Schieflage im akademischen Wissenschaftsbetrieb genau auf dieser einfachen Formel beruht[2].

BioMed Central ist ein Pionier der Gold-OA-Verlage! Anfangs mit dem Manko fehlender Reputation, die er aber mittlerweile hat.

Die Logik innerhalb der Wissenschaft ist „auf das Streben nach Erkenntnisgewinn wie auch nach wissenschaftlicher Reputation ausgerichtet“[3]. Damit unterscheidet sich das Handeln innerhalb der Wissenschaft signifikant vom Handeln innerhalb der Wirtschaft, „deren Funktionsweise im Wesentlichen durch die gewinnorientierte Vermarktung von Produkten gelenkt wird“.[4] Reputation erlangt man in der Wissenschaft durch die Publikation seiner Erkenntnisse. Die Annahme eines Zeitschriftenartikels in einer renommierten Zeitschrift verspricht also einen Reputationsgewinn. Im akademischen Massenbetrieb wird oftmals nicht mehr anhand der Inhalte, also der tatsächlichen Erkenntnisse beurteilt, ob jemand eine feste Stelle oder einen Ruf erhält, sondern es kommt auf die Menge der publizierten Artikel an, die in möglichst renommierten Zeitschriften veröffentlicht sein müssen.

Wenn dies also die Kriterien für Verbleib oder gar Karriere in der Wissenschaft sind („Publish or perish“[5]), dann verwundert es nicht weiter, dass sich die Forschenden mit den neu gegründeten Open Access-Zeitschriften schwertaten und sie ablehnten, obwohl ihnen Open Access als Ideal natürlich gut gefiel. Aus diesem Dilemma heraus entstand die Idee der Transformation zu Open Access Zeitschriften.

Detlef Büttner: Hier trifft also wissenschaftspolitische Ambition auf die Logik von akademischen Karrieren der AutorInnen. Wir sehen mit fortschreitender Zeit aber auch die immer weiter aufgehende Schere in der Finanzierung, die vielen Sorge bereitet. Wie denken Sie darüber?

Susanne Göttker: Mit der Idee der Transformation verfolgt man das Ziel, die alteingesessenen und renommierten Zeitschriften von subskriptionsbasierten zu Open Access-Zeitschriften zu transformieren. Damit würde der Anteil an OA-Artikeln im Vergleich zu zugangsbewehrten Artikeln steigen, denn die Forschenden könnten weiterhin in den präferierten Zeitschriften publizieren. Da die besonders renommierten Titel natürlich zu den besonders hochpreisigen gehören und von Verlagen herausgegeben werden, deren Handeln selbstverständlich gewinnorientiert ist (s.o.), bedarf es eines besonderen Anreizes für die Verlage, ihr Publikationsmodell zu transformieren. Sie müssen also auch unter Open Access-Bedingungen ebenso viel und wenn möglich mehr Profit erwirtschaften wie zuvor mit dem subskriptionsbasierten Modell.

Hierfür müssen zwei Bedingungen erfüllt werden:
1. Die Verlage müssen weiterhin sehr viel mehr Artikeleinreichungen erhalten als dass sie Artikel veröffentlichen werden, so dass sie (so die Theorie auf der ihr Nimbus des Renommees beruht) die qualitativ hochwertigsten Artikel herausfiltern können (s.a. FN2), um sie zu publizieren.

2. Und es muss den profitorientierten Verlagen eine neue Einnahmequelle zur Verfügung stehen, die an die Stelle der Abonnementsgebühren tritt. Diese Einnahmequelle war schnell gefunden: Die Article Processing Charge, kurz APC.

Ein Verlag mit hohen Gewinnmargen muss, um diese zu halten, APCs ansetzen, die höher als die eigentlichen Publikationskosten und auch höher als die der nicht so renommierten Zeitschriften sind. Damit gerät man ohne Umschweife in Regionen, da die APC für einen Artikel in einer solchen Zeitschrift 3.600 EUR und auch weit mehr kostet. Dabei liegt der Anteil, der direkt für die Publikation eines Artikels aufgewendet werden muss bei ca. 400 USD.[6]

Aus diesen Preisen wiederum erwuchs ein Problem für die erste Bedingung. Wovon sollten die einreichenden AutorInnen diese Summen bezahlen?

Detlef Büttner: Dafür gibt es von den Forschungsförderern und den forschenden Einrichtungen eine Vielzahl von Töpfen und Finanzierungsmodellen. Diese stellen im Hinblick auf Transparenz und Compliance nicht nur die AutorInnen, sondern auch die Bibliotheken vor ganz neue Herausforderungen, oder?

Susanne Göttker: Die Förderorganisationen wie zum Beispiel die DFG oder das europäische Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe spielen bei der Compliance eine gewichtige Rolle. Wenn diese ein Forschungsprojekt fördern, ist in den bewilligten Mitteln auch immer Geld enthalten, das zur Publikation der Forschungsergebnisse verwendet werden kann und soll. Oftmals enthalten die Förderbedingungen den Wunsch oder auch die Anweisung, die Artikel Open Access zu publizieren, um den OA-Anteil zu steigern. In diesen Anweisungen gehört das „hybride“ Publizieren, also das Publizieren in einer Subskriptionszeitschrift, die die Option anbietet, einen einzelnen Artikel OA zu veröffentlichen, nicht zu den förderungswürdigen Publikationsmethoden. Da aber die meisten renommierten Zeitschriften historisch abonnementsfinanziert sind, wurde den Verlagen die Option eröffnet, ihre Zeitschrift zur Transformation anzumelden. Das bedeutet, dass der Verlag beabsichtigt, die Zeitschrift innerhalb einer bestimmten Zeit vom Subskriptions- auf das OA-Modell zu transformieren. Innerhalb dieser Zeit ist dann auch das hybride Publizieren förderungswürdig.

Die DFG und Horizon Europe spielen bei der Compliance eine gewichtige Rolle! Ihre Förderbedingungen pushen den OA-Anteil.

Diese grob vereinfachte Darstellung speist sich aus den Prinzipien des Plan S der cOAlition S, einer Gruppe nationaler Forschungsförderungsorganisationen mit Unterstützung der Europäischen Kommission und des Europäischen Forschungsrats (ERC). Plan S ist eine Initiative zur Verwirklichung des vollständigen und sofortigen Open Access zu Forschungspublikationen, die aus einem Ziel und 10 Grundsätzen besteht. Das Ziel von Plan S (https://www.coalition-s.org/addendum-to-the-coalition-s-guidance-on-the-implementation-of-plan-s/principles-and-implementation/) lautet:

„Ab 2021 müssen alle wissenschaftlichen Veröffentlichungen von Forschungsergebnissen, die durch öffentliche oder private Zuschüsse von nationalen, regionalen und internationalen Forschungsräten und -förderern finanziert werden, in Open-Access-Zeitschriften oder auf Open-Access-Plattformen veröffentlicht oder über Open-Access-Repositorien ohne Embargo sofort zugänglich gemacht werden.“

Da natürlich nicht jedes Forschungsvorhaben von Förderorganisationen finanziert wird, sondern häufig auch aus universitären Mitteln bestritten wird, entstanden in diesem Sinne auch nationale Initiativen, die ebenfalls auf dem Gedanken der Transformation beruhen. So zum Beispiel das Projekt DEAL, das mit den Verlagen Wiley und Springer Nature „bundesweite transformative

“Publish and Read”-Vereinbarungen“ (https://www.projekt-deal.de/aktuelles/) getroffen hat.

Durch diese Entwicklung hat sich der Publikationsprozess im OA-Modus (von der Einreichung beim Verlag bis zur Zahlung der APC an den Verlag) durch die diversen, heterogenen Vereinbarungen und Bedingungen in der Praxis zu einem anspruchsvollen, zeitaufwendigen, bürokratischen Prozess entwickelt, in den die Bibliotheken stark eingebunden sind. Denn in den meisten Fällen werden transformative Vereinbarungen mit den Bibliotheken abgeschlossen, die zuvor die abonnierenden Institutionen waren. Oder die Verhandlungsergebnisse und die daraus erwachsenden Verwaltungsprozesse werden von den verhandlungsführenden Organisationen den Bibliotheken zugeschrieben. Die Bibliotheken haben diese Rolle auch gerne angenommen, erhalten sie hiermit doch eine Schlüsselrolle innerhalb des Publikationsprozesses an ihrer Einrichtung.

Durch eine Vielzahl an verschiedenen transformativen Publish&Read-Vereinbarungen ist der OA-Publikations-Prozess zeitaufwändiger und bürokratischer geworden!

Es ist also unerlässlich, dass Bibliotheken sowohl bezüglich der Kopfstärke als auch der Qualifikation über entsprechend ausgebildetes Personal verfügen (Allerdings wird von Seiten der Unterhaltsträger „den Bedürfnissen einer komplexer werdenden Verwaltung von E-Ressourcen nicht mit ausreichend Mitteln Rechnung“ getragen.[7]). Die BibliothekarInnen müssen sich permanent über neue Initiativen fortbilden, verwalten die aus ihrer Einrichtung eintreffenden Finanzierungsanfragen bis hin zur Zahlung der Rechnung an die Verlage, arbeiten in Projekten zur Erarbeitung alternativer Publikationsfinanzierung mit, kommunizieren mit den Forschenden, um ihre Fragen rund um den Publikationsprozess zu beantworten und müssen letztendlich immer die (auch zukünftige) Finanzierbarkeit des gesamten Artikelaufkommens in ihrer Einrichtung im Blick behalten.

Detlef Büttner: Kann allein der Paradigmenwechsel im Publikationsmodell aus Ihrer Sicht zur dauerhaften Veränderung des gesamten Systems führen?

Suanne Göttker: Ich würde sagen, dass die Hoffnung, Open Access führe – zumindest in forschungsstarken Einrichtungen – zu Einsparungen, mittlerweile ad acta gelegt werden muss. Hier helfen Umwidmungen aus den Erwerbungsetats hin zu Publikationsetats, gesonderte von den Einrichtungen aufgelegte Förderfonds und auch Fördergelder von der DFG. Und die Frage, ob in Zukunft Umschichtungen von den Etats forschungsschwächerer Einrichtungen hin zu den stärkeren stattfinden werden, steht immer mal wieder – zum Teil noch hinter vorgehaltener Hand – im Raum.

Festzuhalten bleibt, dass Open Access allein – einzig durch sein Dasein – die Welt der Wissenschaftskommunikation nicht besser macht. Man könnte den derzeitigen Zustand vielleicht mit einem Auto vergleichen, das vom TÜV zahlreiche ernste Mängel attestiert bekommt und dem zur Erlangung der Plakette neue Sitze eingebaut werden.

Übertragen bedeutet das: Es wurde alles getan, um das bestehende System samt den Mängeln im Grunde nicht zu ändern. Um das Publizieren in renommierten Zeitschriften weiterhin zu ermöglichen, erhielten die Finanzströme lediglich zusätzliche Kanäle, wurden aber nicht umgelenkt. Alles Weitere rund um das Veröffentlichen von Forschungsergebnissen blieb bestehen. Es ist schon längst nicht mehr die Rede von Open Access als Disruption, wie dies von den Begründern der Idee angenommen wurde.

Der derzeitige Zustand von OA ist wie ein Auto, der vom TÜV zahlreiche Mängel attestiert bekommt und dem zur Erlangung der Plakette neue Sitze eingebaut werden

Stattdessen entstand rund um das Publizieren in Zeitschriften der kommerziellen Verlage ein kaum mehr von einem einzelnen Menschen zu überschauendes Konglomerat an OA‑Modellen, ‑Vereinbarungen, ‑Förderbedingungen, ‑Finanzierungsformen und -Initiativen. Um also die an sich einfachen Fragen von Forschenden zu beantworten „Wer bezahlt meine APC?“ oder „In welcher Zeitschrift kann ich publizieren, um die Förderbedingungen zu erfüllen?“ bedarf es aktuell zum Teil enorm zeitraubender Recherchen.

Allein die Feststellungen, dass die renommierten Zeitschriften der globalen Großverlage oftmals nicht den für sich proklamierten Qualitätsansprüchen genügen (s. FN2) und dass sowohl das Abonnieren von Zeitschriften als auch die Finanzierung des Open Access-Publizierens in ihnen äußerst kostenintensiv ist [8], haben noch nicht dazu geführt, auf breiter Ebene nach Alternativen zum letztlich hunderte Jahre alten Modell „Zeitschrift“ zu suchen. Technisch gesehen gäbe es sicher modernere Methoden zur Verbreitung von Forschungsergebnissen.

Nun zeigen aber jüngste Erkenntnisse, dass die großen wissenschaftlichen Verlage ihr Geschäftsmodell grundlegend verändern: „Die Aggregation und die Weiterverwendung bzw. der Weiterverkauf von Nutzerspuren werden relevante Aspekte der Verlagstätigkeit. Verlage verstehen sich jetzt teilweise ausdrücklich als Unternehmen für Informationsanalysen. Das Geschäftsmodell der Verlage wandelt sich damit von Content Providern hin zu einem Data Analytics Business. Dabei werden die Daten von WissenschaftlerInnen (das heißt personalisierte Profile, Zugriffs- und Nutzungsdaten, Verweildauern bei Informationsquellen usw.) bei der Nutzung von Informationsdiensten wie z. B. der Literaturrecherche getrackt, das

heißt festgehalten und gespeichert.“[9] Das Open Access-Publizieren in Zeitschriften dieser Verlage verhindert selbstverständlich das Tracking der Nutzerdaten nicht.

Am Ende steht in der Idealvorstellung derer, die den Transformationsgedanken immer weiter vorantreiben, eine Welt ohne Subskriptionskosten, zumindest was die Zeitschriften aus den internationalen, renommierten Verlagen betrifft, so dass der größte Teil der „relevanten“ Zeitschriftenliteratur im freien Zugang verfügbar wäre.

Detlef Büttner: Damit wäre ja ein wesentliches Ziel der Open Access Bewegung erreicht.

Susanne Göttker: Diese Vision mag für die wohlhabenden Industrieländer des Global North eine verlockende sein. Für den großen Teil der Weltbevölkerung, der nicht dazu gehört, kann ein solcher Zustand jedoch nur als Kolonialismus moderner Art angesehen werden. Die „Armen“ können dann zwar lesen und haben Teil an den Segnungen moderner Forschung, die sie via Open Access von den reichen Ländern erhalten, eigene Forschungsergebnisse jedoch können in solchen angesehenen Zeitschriften mit entsprechend hohen APCs auf Grund fehlender Mittel nicht publiziert werden. So bleiben die „Armen“ in den niedrigpreisigen Zeitschriften oder jenen, die nach den Prinzipien des FAIR Open Access[10] ohne APCs auskommen, unter sich und finden außerhalb dieses Rahmens wenig Gehör. Eine der Diversität, Transparenz und der Idee einer offenen Gesellschaft nicht gerade förderliche Vorstellung.

Wenn arme Länder wegen hoher APCs nicht am OA-Prozess partizipieren können, kann man das als Kolonialismus moderner Art beschreiben!

Dabei könnte die Idee Open Access mit gleichzeitiger Vermeidung der eben genannten Probleme eigentlich ganz einfach sein: WissenschaftlerInnen könnten ihre Forschungsergebnisse auf einer nicht-kommerziellen Plattform im Open Access publizieren. Eine solche Plattform steht mit „Open Research Europe“ (https://open-research-europe.ec.europa.eu/) bereits zur Verfügung.

Das zum wissenschaftlichen Publizieren zwingend dazugehörende Peer Review wird auch mit den hier publizierten Artikeln durchgeführt. Allerdings ist hier im Vergleich zur Zeitschrift ein technisch zeitgemäßeres Vorgehen etablierbar: Verbesserte Peer-Review-Funktionen wie direkte Autor-Gutachter-Interaktionen und Peer-Reviews, die sich auf alle Forschungsergebnisse und nicht nur auf den Text eines Artikels beziehen, würden zu einer effizienteren Qualitätskontrolle beitragen. So könnte die Alternative zur Zeitschrift aussehen und hätte gute Chancen, damit die bessere und letztlich renommeeträchtigere wissenschaftliche Praxis werden.[11] Die Realisierungschancen zumindest in den kommenden zehn Jahren halte ich jedoch für äußerst gering.

Selbst wenn sich die Plattform „Open Research Europe“ mit den angedachten Verbesserungen durchsetzen sollte, so wäre dies wohl nicht für alle Forschenden das Mittel der Wahl. Geistes- und RechtswissenschaftlerInnen zum Beispiel würden sicher bei den ihnen angestammten Publikationsorganen bleiben.

Detlef Büttner: Auch wenn für den ganz große Wurf aus Ihrer Sicht noch ein gutes Stück Weg zu gehen ist, muss der Alltag gemanagt und auf das große Ziel hin weiter gestaltet werden. Welche Instrumente stehen aus Ihrer Sicht zur Verfügung?

Susanne Göttker: Geeignet sind meiner Meinung nach Tools, die zur Beantwortung der Finanzierungsfragen entwickelt wurden. So gibt es zum Beispiel das auf die PlanS-Bedingungen ausgerichtete „Journal Checker Tool“ (https://journalcheckertool.org/). Deutlich weiter gehen mittlerweile auch kommerzielle Tools, die die Vielzahl an OA-Modellen und ‑Prozesse in sich vereinen (z.B. https://chronoshub.io/). Hier wird zwar das Grundproblem des sehr diversifizierten Marktes nicht gelöst, aber diese Plattformen bieten eine gute Infrastruktur, um die Vielfalt der Open Access-Aspekte wie APCs oder OA-Verträge zu managen. Das hilft den AutorInnen, sorgt für Transparenz und entlastet natürlich auch die BibliothekarInnen.

 
Geeignete Tools sind z.B. das Journal Checker Tool oder die Plattform ChronosHub, die vor allem für Transparenz sorgen und die BibliothekarInnen entlasten

Detlef Büttner: Liebe Frau Göttker, haben Sie vielen Dank für das ausführliche und differenzierte Gespräch.

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Über Susanne Göttker:

Susanne Göttker (MA LIS) arbeitete als Diplom-Bibliothekarin 18 Jahre an der Bibliothek (jetzt KIM) der Universität Konstanz, bis sie 2002 als Erwerbungsleiterin nach Bern an die Stadt- und Universitätsbibliothek Bern (jetzt Bibliothek Münstergasse) und von dort 2005 nach Zürich wechselte, wo sie die Geschäftsstelle des Konsortiums der Schweizer Hochschulbibliotheken leitete. Von 2008 bis zum Sommer 2021 war sie an der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf zunächst als Abteilungsleiterin, dann als Dezernentin in der Medienbearbeitung tätig. Im Herbst 2021 erfolgte der Wechsel an die Universitätsbibliothek der Fern-Universität in Hagen. Susanne Göttker ist Gründungsmitglied und Beiratsmitglied der GeSIG Netzwerk Fachinformation e.V. und war von 2016 bis 2021 Vorsitzende der dbv-Kommission Erwerbung und Bestandsentwicklung.

Über Detlef Büttner:

Detlef Büttner Geschäftsführer Lehmanns Media GmbH

Detlef Büttner ist seit 2009 Geschäftsführer bei Lehmanns Media. Von 1993 bis 2004 war er für die Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck tätig, zuletzt als Geschäftsführer für Spektrum Akademischer Verlag und Urban & Fischer. Nach dem Verkauf der Verlage an Elsevier schloss er sich 2004 dem Verlag Dr. Otto Schmidt und der Sack-Mediengruppe an, wo er bis zu seinem Wechsel zu Lehmanns als Geschäftsführer tätig war.

Literaturverzeichnis

1: https://www.budapestopenaccessinitiative.org/translations/german-translation

2: Ungeachtet der Tatsache, dass seit vielen Jahren von Forschenden auf dem Gebiet der Szientometrie ein Mangel an Reproduzierbarkeit der in prestigeträchtigen Zeitschriften veröffentlichten Studien beklagt wird. S. a. Young, E.: Jede Menge Murks. In: Spektrum der Wissenschaft. 2013,2. S. 58 und Brembs, B.: Prestigious Science Journals Struggle to Reach Even Average Reliability. In: Frontiers in Human Neuroscience. 2018. https://doi.org/10.3389/fnhum.2018.00037

3: Nutzung und Verwertung von Daten im wissenschaftlichen Raum. Rat für Informationsinfrastrukturen. 2021. S. 10. https://rfii.de/?p=6961

4: Ebenda.

5: „In den letzten 10 bis 15 Jahren hat sich zusätzlich das Dogma Publish or Perish tief in der Wissenschaftslandschaft manifestiert, welches den enormen Publikationsdruck beschreibt, möglichst rasch in der Karriere eine möglichst lange Liste an begutachteten Veröffentlichungen in möglichst prestigeträchtigen wissenschaftlichen Zeitschriften zu produzieren.“ In Rahal, R., Havemann, J.: Wissenschaft in der Krise. 2019. https://blog.wikimedia.de/2019/06/14/wissenschaft-in-der-krise-ist-open-science-der-ausweg/

6: Vgl. Grossmann, A., Brembs, B.: Current Market Rates for Scholarly Publishing Services. 2021. S. 1. https://doi.org/10.12688/f1000research.27468.2

7:  Jakisch, E.: Ringen um Relevanz auf der APE 2018: Worauf wird es in Zukunft für akademische Verlage ankommen? In: Information – Wissenschaft & Praxis 69.2013, S. 141 ‑ 144. https://doi.org/10.1515/iwp-2018-0017

8:  Vgl.: Disrupting the subscription journals’ business model for the necessary large-scale transformation to open access. 2015. http://dx.doi.org/10.17617/1.3, wo von globalen Kosten von bis zu 10 Milliarden USD pro Jahr an Subskriptionskosten ausgegangen wird.

9:  DFG: Datentracking in der Wissenschaft: Aggregation und Verwendung bzw. Verkauf von Nutzungsdaten durch Wissenschaftsverlage. 2021. https://www.dfg.de/download/pdf/foerderung/programme/lis/datentracking_papier_de.pdf-2018-0017

10:  FAIR Open Access Alliance https://www.fairopenaccess.org/the-fair-open-access-principles/wp-2018-0017

11:  Vgl. Brembs, B. et al.: Replacing Academic Journals. 2021. https://doi.org/10.5281/zenodo.5564003

Bildquellen:

  1. Foto: lesliekwchan  
  2. Foto: BioMed Central
  3. Foto: dfg.de und europäische Kommission
  4. Foto: coalition-s.org
  5. Foto: projekt-deal.de
  6. Foto: Getty Images
  7. Foto: Depositphotos
  8. Foto: Depositphotos
  9. Foto: eigene Darstellung

 

 

 

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